Es gibt viele Arten von Behinderungen. Nach dem statistischen Bundesamt leben in Deutschland 7,9 Millionen Menschen mit sogenannten Schwerbehinderungen. 59% der schwerbehinderten Menschen haben vor allem körperlich bedingte Behinderungen. Darunter zählt auch die Spastik. Der Begriff Spastik kommt aus dem griechischem und bedeutet so viel wie „Krampf“. Eine Spastik ist eine Versteifung von Muskeln, was dazu führt, dass Bewegungen unkontrollierbar werden. Diese Erhöhung der Muskelspannung wird durch eine Schädigung des zentralen Nervensystems im Gehirn hervorgerufen. Die Folgen dessen sind eine eingeschränkte Beweglichkeit und bizarre Fehlhaltungen der Gelenke. Es gibt verschiedene Arten an Spastik zu leiden. „Manche Spastiker, die ziehen nur ein Bein hinterher und haben die Spastik nur an einer Körperhälfte, andere die können gar nicht reden und der komplette Körper leidet unter der Behinderung“, sagt Roberto Schneck, 49, „und dann gibt es noch mich. Ich bin zwischen drin.“ Roberto leidet schon seit seiner Geburt an der Spastik. Wie sein Alltag aussieht und wie er seit fast 50 Jahren damit lebt, erzählt er uns in diesem Interview. Viel Spaß beim Lesen!
Wie und wann kam es zu deiner Behinderung?
Ich war eine Frühgeburt und wollte sehr schnell aus Mamas Bauch raus. Schon im sechsten Monat kam ich zur Welt. Eigentlich sollte ich einen Zwillingsbruder haben, allerdings war dieser viel schwerer und größer. Er ist bei der Geburt gestorben. Ich habe meine Behinderung schon seit meiner Geburt. Aber mir geht es gut damit. Kurz gesagt: wenn es mir gut geht bin ich so drauf, wie ich es immer bin und wenn es mir schlecht geht bin ich auch so drauf, wie immer. So ist es eben mit der Spastik.
Wie sieht dein Alltag aus?
Ich habe am Tag immer drei Dienste (früh-spät-nacht). Morgens um acht Uhr kommt der Frühdienst und macht mich frisch. Er macht mir die Wäsche, duscht mich, holt mich aus dem Rollstuhl und dann wird das gemacht, was am Tag ansteht. Ich habe eine Mappe in der mein Wochenplan drin ist, was alles in meiner Wohnung gemacht werden muss. Da ich ein kleiner Chaot bin, ist die Mappe auch durcheinander und unübersichtlich, aber das ist nicht so schlimm. Im Wochenplan steht dann drin wann beispielsweise der Boden gewischt wird, wann ich meine Arzttermine habe, welche Ausflüge anstehen (wie zum Beispiel Familienfeiern) oder das Interview heute. Meine Assistenten kochen auch und gehen mit mir einkaufen. Eigentlich sieht mein Alltag nicht anders aus, wie bei anderen Menschen, nur dass ich für alles einen Assistenten habe. Einmal die Woche kommt auch ein Sozialarbeiter, der mir bei der Behörde hilft und mir beiseite steht, falls es Schwierigkeiten gibt.
Was muss man als Assistent unbedingt beachten?
Das wichtigste ist, dass die Pflege richtig gemacht wird und die Einarbeitung gut läuft. Das bedeutet, dass es so umgesetzt wird, wie es getan werden muss oder wie ich es mir wünsche. Es gibt Assistenten, da muss ich mehr sagen und es gibt Assistenten, die haben es einfach drauf und wissen direkt was sie machen müssen, ohne dass ich dazu was sagen muss. Ich hatte einen Assistenten der konnte nicht kochen. Dem habe ich natürlich erstmal das kochen beigebracht und stand im Rollstuhl daneben und habe ihm Anweisungen gegeben.
Gibt es eine Therapie?
Ja, ich habe eine Therapie. Bei einem Spastiker ist es so, dass er ständig angespannte Muskeln hat. Das sieht man zum Beispiel an meinen Händen, da sind Muskeln und Sehnen verkürzt. Meine Krankengymnastik ist dafür da, dass die Therapeuten schauen, dass meine Sehnen geschmeidig bleiben und meine Assistenten mich gut betreuen können. Gerade bei der Pflege (vor allem Intimpflege) ist es wichtig, dass die Beine geschmeidig und nicht angespannt sind. Wenn ich gar nichts für meine Spastik tun würde, bekommen meine Assistenten die Beine oder Arme gar nicht richtig hoch, weil diese so verkrampft sind.
Kurz gesagt: Bei der Therapie geht es nicht darum, dass ich irgendwann mal laufen werde, sondern darum, dass meine Muskeln nicht dauerhaft angespannt sind. Laufen ist bei mir überhaupt nicht möglich. Meine Gehirnzellen bekommen nämlich entweder viel zu viel oder viel zu wenig Sauerstoff und deshalb sind diese Zellen für den größten Teil der Motorik auch abgestorben.
Haben dich die Menschen, mit denen du Zeit verbringst geprägt?
Geprägt wurde ich bisher nur durch meine Erfahrungen und durch meine Mutter. Meine Assistenten geben mir das Selbstvertrauen, was ich brauche und sagen mir sehr oft, dass ich das unmöglichste schaffen kann. Und so ist es auch.
Wie war deine Kindheit?
Anfangs war das relativ normal. Gut, ich habe gesehen, dass meine Freunde nicht behindert waren aber es war normal für mich. Ich habe mit ihnen gespielt und wurde normal behandelt. Als Kind kann man noch alles kompensieren, aber sobald man älter wird, merkt man den Unterschied zu den anderen. So richtig gemerkt habe ich es erst als wir in das Alter gekommen sind, in denen meine Jungs mit ihren Freundinnen weggingen. Das war bei mir nicht der Fall. Ich rede hier jetzt nicht vom Auto fahren oder vom Führerschein, das war nämlich nie ein Problem für mich. Es wurde tatsächlich erst anders, als ich realisiert habe meine Jungs haben jetzt Mädels und ich wurde als Postbote genutzt und gebeten diese kleinen legendären Zettelchen zu den Mädels zu bringen. Da hieß es dann: „Roberto fahr vor und gib der mal bitte den Zettel.“
Hattest du schon einen absoluten Tiefpunkt?
Ich hatte schon einige Tiefpunkte, aber dabei bin ich immer still und spiele am PC. Ich habe sehr oft den Eindruck, die Tiefpunkte kann ich mir nicht leisten. Und ich möchte sie mir auch nicht leisten, weil ich sonst immer schwieriger da rauskomme und in meiner Situation habe ich es schon schwer genug. Wenn ich mal einen Tiefpunkt habe sage ich nur das nötigste und lasse meinen Frust nicht an anderen aus.
Mein absoluter Tiefpunkt war 2009, da hat sich in meinem Leben am meisten was verändert. In dem Jahr ist der für mich wichtigste Mensch gestorben: meine Mutter. Es war sehr schlimm, aber ich bin erwachsener und reifer geworden. Klar hatte ich immer Unterstützung von meiner Familie und meinen Freunden, aber ich musste – wie man schön sagt – selbst schwimmen, sonst wäre ich ertrunken. Ich habe schon immer gesagt, dass ich nicht möchte, dass meine Schwester mich betreut, da sie ihr eigenes Leben hat. Ich will nicht, dass das Verhältnis zwischen uns beiden dreht, da wir uns so gut verstehen. Einen gewissen Abstand braucht man trotzdem immer von seinen Geschwistern, deshalb könnte ich mir niemals vorstellen, dass sie mit im Pflegeteam ist.
Seit meinem Tiefpunkt hat sich aber nicht wirklich etwas an meiner Person verändert. Das einzige was sich geändert hat ist, dass ich im Kopf stärker und emotionaler bin.
Was ist für dich ein absolutes „No-Go“?
Wenn mich Leute nur ansehen, als ob ich vom Mond komme und mich nicht einfach fragen, was sie sich gedanklich Fragen. Ich werfe es ihnen nicht vor, aber mir ist es lieber ich werde gefragt was ich habe, als bemitleidet angestarrt. Deswegen liebe ich Kinder. Diese sind direkt und fragen mich einfach: „Kuck mal, meine Hände sind gerade. Warum sind deine denn so schief?“ Dann sage ich: „Ich bin krank.“ Ich sage ganz bewusst, dass ich krank bin, weil Kinder mit behindert nichts anfangen können. Aber Spastik ist eigentlich eine Behinderung. Auch zu den Eltern der Kinder sage ich oft, wenn ich unterwegs bin und höre, dass die Kinder ihre Eltern was über mich fragen: „Lassen sie ihre Tochter oder Sohn einfach mal fragen.“ Dann erkläre ich ihnen in ein paar Sätzen was ich habe und das Thema ist auch erledigt.
Hast du Lebensträume?
Ja, die habe ich. Eine Freundin wäre sehr schön, aber in meiner Situation leider sehr schwierig. Der mir am nächsten erschienene Lebenstraum den ich habe ist, dass meine körperliche Situation noch lange so bleibt wie sie jetzt ist und dass es solange so bleibt bis ich meine Augen zu mache.
Wärst du gerne nicht behindert?
Das ist eine spannende Frage. Ich glaube ich würde es spannend finden, für einen Tag. Aber im Großen und Ganzen würde ich nie nicht behindert sein wollen. Würde mich das jemand genauso fragen, wie du jetzt, wäre meine Antwort ein klipp und klares: Nein. Erstens kenne ich es nicht anders und zweitens habe ich mich an mein Leben schon so gewöhnt. Ich glaube ich hätte ganz große Schwierigkeiten, wenn es anders gekommen wäre und ich durch einen Autounfall oder in späteren Lebensjahren meine Behinderung erleiden würde. Dann würde ich auch in der Psychiatrie laut schreien. Aber da ich noch nie ganz oben, auf der Leiter des Lebens war und somit auch weiß, dass ich da niemals hochkommen werde, wäre ich nicht gerne nicht behindert. Ich habe nie eine Ausbildung gemacht und werde auch niemals eine machen. Ich glaub aber auch in der Frage sollte es nicht nur um mich gehen. Wenn man eine Familie hat trifft es diese viel härter als die Person selbst. Das Leben mit einer Behinderung geht ganz gut. Klar hat man einige Umwege und Akzeptanten, aber im Gesamten ist das Leben doch einfach geil.
Außerdem habe ich einen kleinen Job. Dabei geht es betroffene, wie mich, zu beraten, die die gleiche Wohnform haben möchten. Ein anderer Job ist bei mir aber auch gar nicht möglich, da ich erst mit zehn Jahren so richtig lesen und rechnen gelernt habe. Vor meiner jetzigen Wohnsituation war ich in einem Wohnheim, was als eine Art „Trainingslager“ um in das Ganze rein zu finden kann nett war. Aber meine jetzige Wohnsituation ist um so vieles besser. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich es aktuell noch einmal so bekommen würde, wie ich jetzt lebe, oder ob es damals einfach nur Glück war.
Dein Statement.
Das Leben ist geil auch als Behindi.
Spastiker haben es gar nicht so einfach. So geht es aber auch anderen Menschen mit Behinderungen. Und trotzdem lernen sie damit zu leben und sind dankbar dafür, dass ihnen das Leben geschenkt wurde. Vielleicht regt das euch zum Nachdenken an?
Vielen Dank fürs Lesen! Lasst mir gerne Feedback da! Falls ihr irgendwelche Eigenschaften, Hobbys oder weitere Themen habt, die ihr interessant findet, oder jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt, … ihr kennt das Spielchen, meldet euch gerne bei mir! ~M