(Skye’s Sichtweise)
Ich schrieb Janik. Ich hatte ihn so lange nicht mehr gesehen und mit ihm konnte man reden. „Heute Abend Film schauen bei dir?“, fragte ich ihn. Er freute sich sehr darüber, dass ich ihm geschrieben hatte und wir trafen uns bei ihm zu Hause. Er hatte sturmfrei, was sehr gut war, fand ich. Wir tranken Kaffee, unterhielten uns ein bisschen und schauten kurz darauf einen Film. Doch das mit dem Film sehen funktionierte nicht so gut. „Hey, hast du was zum Trinken da?“, fragte ich ihn. „Ja, natürlich. Wir haben eine ganze Bar voll, such dir etwas aus.“ Ich öffnete den Schrank, welcher Bar ähnlich aussah. „Wow!“ „Ganz schön viel, was?“ „Oh ja, aber das ist gut. Ich öffne mal den Tequila. Habt ihr Zitrone und Salz da?“ Ich ging schon mal in die Küche. Der Kühlschrank dort, war ein typischer „Magnetkühlschrank“, kaum zu übersehen. Ich kam mit Shotgläsern wieder. „Wie wär‘s mit Titanic trinken?“ „Oh nein, ich hasse den Film.“ „Ich auch, aber immer, wenn sie Jack sagt, muss man einen Shot trinken, also?“ Er lachte und nickte. „Na gut, aber nur für dich.“
Wir fingen an zu trinken. Irgendwann hatten wir so viel getrunken, dass wir aufgaben. „Das Spiel, kann man nicht gewinnen. Das Spiel ist mir zu heftig. Ich kann nicht meehr“, lallte Janik. Ich musste so lachen. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu lachen und fing schon an zu weinen. Wir legten uns schlafen. Aber wir waren noch viel zu wach. Ich drehte mich zu ihm und sah ihm in seine Ozean-blauen Augen. Sollte ich ihn küssen? Endet es wieder wie letztes Mal? Bevor ich mir innerlich noch eine dritte Frage stellen konnte, küsste er mich. Es war kein zärtlicher Kuss, aber auch kein unzärtlicher Kuss. Es war ein schöner, tiefsinniger Kuss. Einen Kuss, welchen ich einfach erwidern musste.
Als ich ihn erwiderte, knöpfte er mir mein Oberteil auf. Er zog mir meinen BH aus, kurz darauf zog er sein T-Shirt aus. Er hatte einen wunderschönen Körper, war unglaublich attraktiv. „Lass mich machen“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich hörte darauf. Er küsste meinen Körper ab und tastete sich langsam nach unten, bis er am Knopf meiner Hose angelangte. Dieser knöpfte er problemlos auf. Bevor ich überhaupt über das Nachdenken konnte, was passiert ist, schliefen wir miteinander. Es fühlte sich ganz gut an, doch irgendetwas fehlte. Ich kam einfach nicht darauf. Was fehlte mir? Ich ging kurz ins Bad, um mich frisch zu machen und als ich zurück in sein Zimmer kam, schlief er. Er sah so friedlich aus. Ich hatte sowas noch nie, einen One-Night-Stand. War es überhaupt ein One-Night-Stand? Bei einem One-Night-Stand ist es doch so, dass man die Person nie wieder sieht und nicht kannte. Auf jeden Fall etwas Ähnliches wie das hier. Doch im Endeffekt dachte ich mir, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich gehen würde. Ich nahm mein Handy raus, schaute auf die Uhr. Es ist halb sieben Uhr, morgens. Ich suchte nach einem Blatt und Stift und schrieb ihm einen Zettel:
„Danke für die tolle Nacht. Vielleicht sieht man sich ja irgendwann mal wieder? xoxo ~Skye“
Das sollte reichen, dachte ich mir, legte den Zettel unter sein Kopfkissen und schlich mich davon. Es war eine echt tolle Nacht, doch wollte ich das? Sollte mein Leben wirklich so aussehen?
Als ich zu Hause ankam, legte ich mich in mein Bett. Ich wusste nun was mir fehlte. Die Liebe. Ich schloss meine Augen und sah Liam vor mir. Unglaublich, einfach unglaublich. Er wollte nicht aus meinem Kopf, geschweige denn aus meinem Herzen. Doch solange ich ihn in meinen Träumen haben darf, akzeptierte ich es. In meinen Träumen war er nämlich noch ganz der Alte. Ich versuchte glücklich zu sein und so weiter zu machen wie bisher – ohne ihn.
„Wer kann schon sagen wonach Wasser schmeckt oder wie Liebe aussieht.
Wer weiß wie weit man laufen muss, um sich selber zu entkommen
und was ist, wenn wir am Ziel dieser langen Reise, die sich Leben nennt ankommen.
Und wie laut muss man schreien, damit einen niemand hört?“ ~Skye
Es war ein Sonntag, Sonntagnachmittag. Die Sonne schien, aber es war sehr kühl draußen. Ich zog mir einen Pulli an, eine Basketballhose, suchte meine Basketballschuhe und ging auf den Freiplatz. Einfach das Wetter genießen, mein Leben. Es war nichts los draußen, wahrscheinlich weil es noch nicht einmal Frühling war. „Kein Verrückter, den ich kenne geht bei minus zwei Grad auf den Basketballplatz“, hatte mein Vater gesagt. „Tja, jetzt kennst du eine Verrückte, die es tut“, antwortete ich ihm. „Es geschehen doch noch Wunder.“ Mit diesem letzten Satz von ihm verließ ich das Haus.
Und noch ein Korb, und noch einer, nur noch ein einziger. „Mist!“, stieß ich heraus. „Das kann doch nicht sein, dass ich nichts mehr treffe!“
Vor Erschöpfung legte ich mich auf den Platz. Der Boden war kalt, die Kieselsteine, welche an manchen Stellen auf dem Platz verteilt lagen, taten weh im Rücken, doch mir war das egal. Ich lag gut, sah in den blauen Himmel. Es waren kaum Wolken am Himmel. Nur eine. Diese eine Wolke sah aus wie ein Schaf. „Wie klischeehaft“, dachte ich mir, „wie sollte sie denn auch sonst aussehen.“
„Er braucht dich an seiner Seite. Ihm geht es nicht gut. Vor allem nicht ohne dich“, hatten sie gesagt. Klar war es ein Fehler, ihn so sitzen zu lassen. Na ja, eigentlich hatte er mich sitzen lassen, obwohl ich auch etwas bisschen schuld daran war.
Doch ich habe gelernt, und mir wurde auch sehr oft gesagt, dass es wichtig ist, auch im Leben ein wenig egoistisch zu sein. Ich bin nicht der Typ Mensch, welchen man in eine Schublade steckt und immer wieder rausholt, wenn man ihn braucht. Das mochte ich nicht, werde ich auch niemals mögen. Eine Art „Ersatzfreundin“, wenn keiner da ist. So bin ich nicht. „Manchmal“, dachte ich, „würde ich sehr gerne die Zeit zurückdrehen, um mir selbst eine reinzuhauen. Doch dann denke ich mir: Nein, das ist es nicht wert. Nichts davon ist es wert.“
Es fing an zu regnen. Regen konnte man es nicht nennen, wohl eher tröpfeln. Ich warf noch ein paar Körbe, bis es richtig stark regnete. Dann machte ich mich so langsam auf den Weg nach Hause. Woher kam der Regen? Es waren doch kaum Wolken am Himmel. Kam all dieser Regen von einer einzigen Wolke? Das machte überhaupt keinen Sinn. Doch es schien so. Denn in meinem Ort, war kein Regen. Es war trocken und sonnig. Keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Also kam ich nur auf einen einzigen Gedanken, welcher Sinn ergeben konnte. „Der Platz ist verflucht. Na ja, oder wie Dad sagte: Es geschehen doch noch Wunder auf dieser Welt.“
„Nature is the place where my soul feels safe
and clean. In nature, I feel pure and free
because I’m not polluted by the society.” ~Skye
Ich ging mit meinem kleinen Bruder unsere Familie besuchen. Wir waren eine Woche weg. Der Grund war mein Onkel. Er hatte Lungenkrebs und einen Tumor im Kopf, welchen er nicht losbekommen hatte. Er konnte nicht mehr reden, sich nicht mehr bewegen. Er verlor den schwersten Kampf gegen diese Krankheit. Die Krankheit, welche sich Krebs nannte. Die Metastasen siegten über seinen Körper und er selbst wurde nur noch durch Sauerstoffmaschinen am Leben gehalten. Als wir bei meiner Tante ankamen, sah sie uns überglücklich an. Wir gingen direkt zu meinem Onkel ins Zimmer, welches komplett mit Maschinen und Medikamenten ausgestattet war. Er öffnete seine Augen und sie funkelten. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Es war kein gequältes Lächeln. Es war, als ob er uns erkannte, was unmöglich war. Ich setzte mich neben ihn aufs Bett und fing an ihm alles Mögliche zu erzählen, was er so verpasst hatte. Es schien, als würde er mir zuhören. Als würde er wissen, worüber ich redete. Doch mir kam es leider nur vor wie ein Selbstgespräch. Ich hörte jedoch nicht auf, bis er einschlief.
Als wir ein paar Tage später meine Oma besuchen gingen, die eine halbe Stunde entfernt wohnte, bekamen wir einen Anruf. Es war meine Tante. Meinem Onkel ging es nicht gut und er wurde ins Krankenhaus gebracht. Sie würde sich sehr freuen, wenn wir alle zu ihr kommen könnten. Wir packten also somit alle unsere Sachen und machten uns wieder auf den Weg zurück.
Meine Cousine und ich fuhren ins Krankenhaus. Das war’s für ihn, dachte ich. Wir legten uns beide zu ihm aufs Bett und unterhielten uns mit ihm. Ich versuchte so viel wie möglich für sie da zu sein. Ihr Vater lag im Sterben und sie konnte nichts tun, als dabei zu zusehen und die letzten paar Stunden mit ihm zu verbringen.
Ein paar Tage später kam er nach Hause. Die Ärzte meinten er wäre soweit, dass er wieder nach Hause kann. Doch brachten sie eine noch viel größere Sauerstoffmaschine mit und mehrere Beutel, in welchen verschiedene Flüssigkeiten für Infusionen drin waren. Am gleichen Abend beschlossen wir in die Stadt zu gehen. Ich wollte meine Cousine ein bisschen ablenken, sie auf andere Gedanken bringen. Bei ihr zu Hause war es so unglaublich traurig. Es war zehn Uhr als wir zu Hause ankamen. Relativ spät. Wir sahen kurz nach meinem Onkel und setzten uns ins Zimmer neben an, um meiner Tante zu erzählen wie es in der Stadt war. Zehn Minuten später, herrschte Stille. Es war seltsam, denn eigentlich hörte man die Sauerstoffmaschine. Meine Tante sprang auf, ging ins Zimmer neben an. Wir rannten ihr hinterher.
Er lag auf dem Bett und bekam keine Luft mehr. Er sah uns an, hatte ein Lächeln im Gesicht und plötzlich hörte sein Herz auf zu schlagen. Er starb. Er starb, und kurz davor schenkte er uns ein Lächeln. Wären all die Maschinen nicht gewesen, hätte es friedlich ausgesehen. Zum ersten Mal sah ich einen Menschen sterben. Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Meine Tante brach zusammen, meiner Cousine flossen die Tränen. Mein Bruder stand verwirrt da und ich stand mitten drin und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war schockiert. Als mein Onkel meinen Cousin anrief, kam er nach Hause. Er sagte ihm nicht, was los ist, doch als er mitten drin war, und es realisierte, fing er an zu fluchen. Jeder reagierte anders auf den Tod meines Onkels. Mein Bruder kam zu mir und nahm meine Cousine, führte sie zur Couch und setzte sich neben sie, um sie zu trösten. Auch ihm kamen dabei die Tränen, doch man sah ihm an, dass er versuchte stark zu bleiben. Ich nahm meine Tante in den Arm, und versuchte ihr weis zu machen, dass das besser für ihn sei. Er hatte sowieso nicht mehr gelebt. Es war eine Maschine und mehrere Infusionen, welche ihn am Leben gehalten hatten. Früher oder später wäre er sowieso von uns gegangen. Sie wusste, dass ich Recht hatte, doch konnte es trotzdem nicht glauben. Dieses kleine Funken Hoffnung, dass sie jeden Tag begleitete – er könnte wieder gesund werden – war weg, einfach ausgelöscht. Als meine Oma kam, um sich um meine Tante zu kümmern, ging ich wieder zu meiner Cousine und meinen Bruder. Wir versuchten sie aufzumuntern. Irgendwann konnte sie nicht mehr weinen.
Die Beerdigung war drei Tage später. Danach reisten wir auch schon wieder ab.
Es war, wie als ob mein Onkel nur darauf gewartet hätte, dass mein Bruder und ich ihn besuchen kamen. Als ob das sein letzter Wunsch gewesen wäre, bevor er starb, denn sonst wäre er nicht ein halbes Jahr lang an diesen Maschinen gefangen gewesen, sondern vielleicht schon etwas früher gegangen?
Es war ein unglaublich schweres Jahr, mit unglaublich vielen Ereignissen. Gute, als auch schlechte, doch wir standen alles gemeinsam durch.
In solchen Situationen, fand ich, war Zusammenhalt alles, was zählte. In diesen Situationen, hätte ich gerne Liam an meiner Seite gehabt. Doch er war nicht da. Und das fand ich so verdammt schade. Aus diesem Grund vertraute ich auch keinem an, was geschah und versuchte es selbst durchzustehen. Es war eine verdammt schwere Zeit, in welcher ich mich komplett zurückgezogen hatte.
„If you can’t fly then run,
if you can’t run then walk,
if you can’t walk then crawl,
but whatever you do you have to keep moving forward. (-Martin Luther King)” ~M